23.02.21
Lebensretter Bewegung
Ein langes Leben zu erreichen ist in Deutschland einfacher denn
je zuvor. Laut Statistischen Bundesamt lag die durchschnittliche
Lebenserwartung vor einem Jahr für neugeborene Mädchen bei 83,3 Jahren
und für Jungen bei 78,5 Jahren. Auch die Chancen, 100 Jahre alt zu
werden, stehen nicht schlecht. Das Max-Planck-Institut für demografische
Forschung in Rostock errechnete, dass von den 2019 geborenen Mädchen
jedes dritte Mädchen und jeder zehnte Junge die dreistellige Zahl
erreichen werden.
Bewegung wirkt Wunder
Dass Bewegung hilft, gesund alt zu werden, scheint zunächst
keine besonders spektakuläre Erkenntnis zu sein. Das Wissen darum ist
aber entweder weniger verbreitet als gemeinhin angenommen oder wird
vielfach erfolgreich verdrängt. Christoph Englert, Leiter der
Forschungsgruppe Molekulare Genetik am Leibniz-Institut für
Altersforschung in Jena, bestätigt dies gegenüber Spektrum.de: „Viele
unterschätzen, wie enorm groß der Einfluss der Bewegung auf die
Gesundheit und das Altern tatsächlich ist“. Es folgt der Verweis auf
eine Studie von Wissenschaftlern um Peter Schnohr vom Bispebjerg
University Hospital in Kopenhagen. Nach den Erkenntnissen aus Dänemark
leben Menschen, die regelmäßig joggen, im Durchschnitt vier bis fünf
Jahre länger als Inaktive. Und das selbst, wenn man andere Unterschiede
im Lebensstil berücksichtigt. Mit 60 bis 100 Minuten leichtem Joggen pro
Woche lasse sich dabei der größte Effekt hinsichtlich der Sterblichkeit
erzielen, wobei diese Aussage unter dem Vorbehalt eines relativ kurzen
Beobachtungszeitraums steht, was valide Aussagen zur Sterblichkeit
automatisch einschränkt.
Dass körperliche Bewegung
eine wirkungsvolle „Anti-Aging-Medizin“ ist, belegt auch eine Vielzahl
weiterer Studien. Laut Ärzteblatt senken schon 15 Minuten Bewegung am
Tag das Risiko, vor dem Erreichen der statistischen Lebenserwartung zu
versterben, um 14 Prozent. Jede weitere Viertelstunde bringe weitere
vier Prozent Plus, wobei sich dies natürlich nicht unendlich steigern
lässt. Insgesamt lasse sich das Sterberisiko um knapp die Hälfte
reduzieren, nämlich wenn rund 50 Minuten intensiver Sport pro Tag auf
dem Programm stehen. Eine Erklärung für derartige Effekte lieferte ein
deutsches Forscherteam: Regelmäßiger Ausdauersport von dreimal 45
Minuten pro Woche erhöhe die Aktivität des Enzyms Telomerase, das die
Telomere (Schutzkappen der Chromosomen) verlängert und Körperzellen
dadurch „verjüngt“.
Widmen wir uns nach diesen eher
allgemeinen Empfehlungen nun den konkreten Gegenmaßnahmen bei bestimmten
typischen Alterserkrankungen.
Diabetes
Sportliche Aktivität kann Diabetes hinauszögern oder sogar
verhindern, denn sie erleichtert Körperzellen die Aufnahme von Glukose
aus dem Blut. Dies lässt den Blutzuckerspiegel sinken und die
Insulinsensitivität steigen. „Neben Ausdauersport eignet sich
insbesondere Muskelaufbautraining im Kampf gegen Diabetes“, erklärt
Prof. Dr. Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln im
Ärzteblatt. Denn Muskeln seien wahre Zuckerfresser. Die positiven
Effekte von Muskelaufbau auf den Glukosespiegel sind mitunter schon nach
einer Woche Sport im Blut sichtbar, doch genauso schnell können sie
auch wieder verblassen: Um die Wirkung aufrechtzuerhalten, sollten
Trainingspausen daher nicht länger als zwei Tage andauern.
Herz-Kreislauf
Regelmäßige Bewegung tut nachweislich auch dem
Herz-Kreislauf-System gut, wobei laut Froböse rund 3,5 Stunden moderater
Sport pro Woche optimal für die Herzgesundheit sind. Die Gründe für die
positiven Effekte seien vielfältig. Trainieren senkt den
systolischen/diastolischen Blutdruck, wovon naturgemäß besonders
Hypertoniker (Hypertonie = Bluthochdruck) profitieren. Zudem verbessere
körperliche Aktivität das Lipidprofil, heißt, das „gute“ HDL-Cholesterin
steigt an, während die Konzentration von Triglyceriden (Neutralfetten)
sinkt, die in zu hoher Dosis potentiell schädlich sein können.
Immunsystemschwäche
Auch das durch Corona zur aktuellen Berühmtheit gelangte
Immunsystem profitiert von einem gesunden Maß an Bewegung. Ältere
Menschen, die ihr ganzes Leben viel Ausdauersport getrieben hatten,
wiesen in einer Studie deutlich aktivere B- und T-Zellen im Blut auf,
wodurch sie weniger anfällig für Infektionen, chronische Entzündungen
und Autoimmunerkrankungen werden und einen besseren Impfschutz
aufweisen.
Krebs
Auch im Hinblick auf zahlreiche Krebsarten kann ein
ausreichendes Maß an Bewegung verschiedenen Untersuchungen zufolge einen
schützenden Effekt haben. Das liegt speziell daran, dass regelmäßiger
Sport natürliche Killerzellen aktiviert, deren Aufgabe unter anderem die
Bekämpfung von Krebszellen ist. Wenn die WHO-Empfehlungen durch
körperlich besonders Aktive um das rund Dreifache übertroffen werden,
soll das Risiko für die Entwicklung von 13 Krebsarten um bis zu 42
Prozent sinken können – darunter Darm-, Lungen- und Brustkrebs mit je
16, 26 und zehn Prozent. Auch bei einer bereits vorliegenden Erkrankung
kann Sport helfen. Brust- oder Darmkrebspatienten, die erst nach der
Diagnose mit dem Training nach WHO-Empfehlungen begannen, konnten ihr
Sterberisiko um circa 28 Prozent senken. Mehr als drei Stunden
intensiver Sport pro Woche reduzierte die Sterbewahrscheinlichkeit nach
einer Prostatakrebs-Diagnose um 61 Prozent. Lediglich beim Hautkrebs
kann Sport negative Wirkungen haben, weil dabei oft viel Zeit im Freien
verbracht wird und es dadurch zu einer erhöhten UV-Dosis kommen kann.
Demenz und Depressionen
Im Ärzteblatt ist nachzulesen, dass körperliche Bewegung
neue Gehirnzellen sprießen lasse und so die Lern- und Merkfähigkeit
verbessere, was der Entwicklung einer Demenz entgegenwirke. Eine
Langzeitstudie zeige, dass Menschen mit einem hohen Fitnesslevel ein bis
zu 88 Prozent geringeres Demenzrisiko aufweisen. Weiter heißt es, dass
Sport auch die Konzentrationen von Dopamin, Serotonin und Noradrenalin
im Blut erhöhe. Das aktiviere unser Belohnungssystem, was wiederum die
Stimmung verbessere und Stressgefühle vermindere. Somit tauge
körperliche Aktivität auch als effektives Mittel gegen Depressionen.
Eine Studie zeige, dass 30 Minuten Joggen pro Woche ähnlich wirke wie
ein Antidepressivum.
Und was sonst noch?
Weniger Stress, moderat und ausgewogen essen sowie der
Verzicht auf Alkohol und Tabak zahlen ebenfalls auf das
Lebenserwartungskonto ein. Und, für manche überraschend: Nicht zu oft in
die Sonne gehen. „Wer übermäßig viel Sonnenlicht ausgesetzt ist, der
wird Studien zufolge als älter eingeschätzt. Gleichzeitig ist die
tatsächliche Lebenserwartung leicht verringert“, sagt Christoph Englert.
Im Dunklen leben muss deshalb aber so gut wie niemand. Der Körper
brauche sogar eine gewisse Dosis an Sonnenlicht, um Stoffe wie Vitamin D
zu produzieren und gesundheitsfördernde Botenstoffe freizusetzen. 15
Minuten direkte Sonne am Tag darf man sich also auch im Sommer gerne
gönnen. Im Winter sollte man sogar mindestens eine Stunde täglich
anstreben.